Gewindefahrwerk richtig einstellen (2019)

Ein Auto ist wie ein Stuhl

21.05.2019 11:00 Uhr

Text und Fotos: Joshua Hildebrand


Mit der richtigen Einstellung kommt man weiter. Oder fährt man besser. Die Kunst, ein Serienfahrzeug zu optimieren, ist nicht nur der Verbau von teuren Tuning-Teilen. Vielmehr geht es darum, mit der passenden Einstellung die perfekte Harmonie für Fahrer und Fahrzeug zu schaffen. Ein Klassiker im Tuning-Segment ist das Gewindefahrwerk, das nur mit dem richtigen Setup sinnvoll ist!

Viele haben es, nur wenige brauchen es eigentlich: ein Gewindefahrwerk. Zumeist ist es das Argument der stufenlosen Höheneinstellung, das den Tuning-Fan zu einem Kauf veranlasst. Neben der Absenkung des Fahrzeugschwerpunkts und der damit verbundenen Erhöhung der Federhärte (Federrate) sind vor allem die Dämpfer eines Fahrwerks für die gefühlte Härte verantwortlich. Bei unserem Mustereinbau in Ausgabe 5/2018 haben wir ein BMW M2 Coupé mit einem KW-V3-Fahrwerk aus Edelstahl („inox line") verheiratet. Der Einbau war kein großes Hexenwerk, doch ergibt ein Gewindefahrwerk nur Sinn, wenn es auf die Bedürfnisse des Fahrers eingestellt wird – und das ist gar nicht so einfach. TUNING-Tipp voraus: Bevor ihr wild herumprobiert, geht lieber gleich zu einem Profi. Qualitätshersteller wie KW automotive helfen euch sehr gerne weiter!

Tief ist nicht gleich schnell

Wer glaubt, der Einbau eines Fahrwerks sei der schwierigste und zeitaufwendigste Part, der irrt. Gut Ding will Weile haben: Bis man die perfekte Fahrwerkseinstellung gefunden hat, können viele Tage und Kilometer vergehen. Deshalb haben wir uns gleich mal einen Profi geschnappt: Markus Wahle ist bereits zwölf Jahre bei KW Chef-Mechaniker und hat bei der Entwicklung des V3-Fahrwerks maßgeblich mitgewirkt. Zudem hat er schon im Rennsport diversen Teams zum richtigen Setup verholfen. Wer also soll sich besser auskennen als er? Entscheidend für „die perfekte Einstellung" ist dabei nicht nur das Einsatzgebiet des Fahrzeugs, sondern auch die Bereifung. Markus weiß: „Tief ist nicht gleich schnell, auch wenn es gut aussieht. Viele begehen schon die ersten Fehler, bevor überhaupt irgendetwas eingestellt wird. Bei der richtigen Performance ist nämlich auch das Thema Reifen sehr wichtig. Ein Gewindefahrwerk in Kombination mit irgendwelchen billigen China-Reifen macht genauso wenig Sinn wie Reifen mit dem falschen Luftdruck. Zu viel Luft ist zum Beispiel fahrdynamisch eine Katastrophe!" Dabei verweist der Experte auf die Herstellerspezifikationen. „Mit diesen ist man immer gut beraten", fügt er hinzu.

Einstellung nach Restgewinde

Häufige Frage bei Fahrwerksumbauten: „Wie stelle ich das Fahrwerk möglichst gleichmäßig ein?" Für den Experten ist die Antwort klar: „Ich würde immer nach dem Restgewinde gehen, da hier die Toleranzen wesentlich enger gesteckt sind." Ein Feststellen der Höhe mit Messen von Kotflügelmitte zu Radhauskante sei schlichtweg zu ungenau, da es beim Blech seitens der Hersteller durchaus mehrere Millimeter Unterschied zwischen der linken und rechten Seite geben kann. Im Motorsport wird gerne per Radlastwaage gemessen. Je höher der Wagen eingestellt wird, desto höher wird auch die Radlast und somit das Gewicht, welches auf die Waage drückt. Man bekommt nun für jedes Rad einen Wert in Kilogramm, die zusammenaddiert das ergeben, was der Wagen insgesamt wiegt. Um nun herauszufinden, ob der Wagen austariert ist, addiert man die Werte diagonal. Also vorne links, hinten rechts und vorne rechts, hinten links. Bei unserem M2 betragen die Werte 789 (vl/hr) und 783 Kilogramm (vr/hl). „Ein sehr guter Wert für einen Straßenwagen. Viel genauer bekommt man es aufgrund von Ausstattungen nicht hin. Zumal der Wagen ja auch unterschiedlich beladen wird", erklärt Markus. Übrigens: Bis zu 15 Kilogramm Differenz pro Achse seien in Ordnung; selbst fabrikneue Autos haben teilweise mehr Diskrepanz. Es geht bei der Einstellung hauptsächlich darum, dass das Auto – ähnlich wie bei einem Stuhl mit vier Beinen – diagonal ins Gleichgewicht gebracht wird.

Orientierung: Teilegutachten

Die zulässigen Maße wie den Verstellbereich, das Abstandsmaß oder die Tieferlegungsmaße finden sich im Teilegutachten des Fahrwerks. Dies sind gute Werte, um das Fahrwerk maximal tief und vor allem legal einstellen zu können. Dennoch bleibt nach der Einstellung nur das Ausprobieren. Verschränken wäre die eine Maßnahme, eine Probefahrt die andere. Letzteres sollte allerdings nicht im öffentlichen Straßenverkehr vollzogen werden. Grundsätzlich empfiehlt der Fahrwerksspezialist als Bemessungsmaß rund 80 Kilogramm für den Fahrer plus halber Tank und gegebenenfalls noch Zusatzgewichte für den Kofferraum, wenn es sich um Modelle handelt, die erfahrungsgemäß nicht viel Platz in den hinteren Radhäusern besitzen. Grundsätzlich ist zu empfehlen, dem Fahrwerk lieber ein bis zwei Millimeter mehr Spielraum einzuräumen, um Probleme zu vermeiden.

Ein Stoßdämpfer soll Stöße dämpfen

Bevor es an die Zug- und Druckstufeneinstellung des KW V3 geht (nicht bei allen Fahrwerken möglich), empfiehlt der Experte, erst einmal 3.000 bis 4.000 Kilometer mit dem neuen Fahrwerk in dem vom Hersteller eingestellten Werkszustand zu fahren, um sich an das neue Fahrverhalten zu gewöhnen. Mit härterer Druckstufeneinstellung an der Vorderachse wird das Fahrzeug lenkpräziser. Eine weichere Einstellung hingegen begünstigt ein eher gutmütiges Lenkverhalten. Die härtere Druckstufe an der Hinterachse macht das Fahrzeug stabiler bei Richtungswechsel und wirkt einer Übersteuerneigung entgegen. Demgegenüber lässt eine weiche Druckstufe das Heck mehr mitlenken. Zu viel Druckstufe kann jedoch hartes, unkomfortables Abrollen bewirken und vermindert die Haftung zur Fahrbahn. Geringe Zugstufenkräfte verbessern den Komfort bei langsamer Fahrt, vermindern jedoch insbesondere bei entsprechender Einstellung die Stabilität und Lenkpräzision bei schneller Fahrt. Hohe Zugstufenkräfte verbessern an der Vorderachse nochmals das Handling, unter Umständen aber auf Kosten der Haftung. Keinesfalls darf eine Achse ganz hart, in Kombination mit der anderen ganz weich gefahren werden – das könnte zu unvorhersehbaren Lastwechselreaktionen des Autos führen. Ausgehend von der Werkseinstellung haben wir das Fahrwerk unseres M2 in Sachen Druckstufe rundherum einen Klick zugedreht (härter gemacht), die Zugstufe an der Hinterachse hingegen um zwei Klicks aufgedreht (weicher gemacht), um das Übersteuern zu minimieren. Man bedenke: Durch den Einbau und die Fahrwerksverstellung haben sich die Achsgeometrien geändert. Grundsätzlich wird nach JEDER Fahrwerksverstellung eine Neuvermessung empfohlen, bei Feinverstellungen unter fünf Millimeter kann man auch mal ein Auge zudrücken. Unser erfahrener Mechaniker empfiehlt: „Für den normalen Straßeneinsatz ruhig den Spur- und Sturzwerten des Herstellers vertrauen, da diese einen langen Entwicklungsprozess hinter sich haben und perfekt auf das Fahrzeug abgestimmt sind."

"Es kann nichts kaputt gehen" 

Alles in allem ist das Thema Fahrwerk sehr komplex. Dennoch kann man beruhigt an die Sache herangehen! Denn ist das Fahrwerk erst mal eingebaut, kann nichts mehr passieren. „Nur durch Klick-Differenzen oder Höhenunterschiede entstehen keine Schäden am Auto – also alles halb so wild", beruhigt uns Markus. Dann mal gute Fahrt!