TEST: Polo GTI (2019)

Von wegen klein!

08.04.2019 09:48 Uhr

Text: Joshua Hildebrand | Fotos: Jan Bürgermeister (Fotostate.de)


200 PS aus einem Zweiliter-Turbo hat er, der neue Polo GTI. Doch nicht nur das: Er ist breiter, länger und erwachsener geworden. Braucht es den Golf noch? Fahrbericht von Joshua Hildebrand. 

Die Antwortet lautet: Na, klar! Was für eine Frage, werden jetzt viele denken. Aber im Grunde genommen ist sie gar nicht so abwegig. Denn der Polo von morgen ist länger als der Golf von gestern. Oder anders gesagt: Auch der neue Polo lässt den Trend nicht aus, größer zu werden. Er durchbricht nicht nur die Vier-Meter-Schallmauer und ist damit fast so groß wie ein Golf 3, sondern bekommt auch die Leistung eines Golf 5 GTI – also 200 PS. Dazu wird er knapp sieben Zentimeter breiter und erhält 100 bis 200 Liter (bei umgeklappten Rücksitzen) Kofferraumvolumen dazu. Warum die Autos seit Jahrzehnten immer größer werden? Ganz einfach: Weil es der Kunde so will! Denn das neue Auto soll ja immer etwas besser sein als seine Vorgänger, und das drückt sich für viele in seiner Größe aus. Zudem entsteht ein gewisser Konkurrenzdruck, wenn Wettbewerber größere Autos anbieten, ohne signifikant teurer zu werden. Und damit dann trotzdem noch der Bedarf für ein kleines Stadtauto gestillt wird, gibt es einfach ein neues Modell – bei VW ist es eben zurzeit der up! Einzig in puncto Fahrzeughöhe muss der neue Polo zurückstecken. Er ist 1,5 Zentimeter flacher. Das ist aber auch gewollt, denn breiter, flacher, tiefer liegt im Trend und lässt das Auto sportlicher und moderner aussehen.

Rotzlöffel im Anzug

Der Polo war und ist ein Lückenfüller – aber ein außerordentlich guter! Denn wem der up! zu klein, der Golf aber zu teuer ist, der greift zum „kleinen Golf". Das ist heute so und war damals nicht anders. Die sechste Generation des Kleinwagens hat optisch etwas an Pubertät verloren und ist dafür erwachsener geworden – was mit den oben genannten Maßen einhergeht. Soll bedeuten: Er wirkt wie ein Student im Anzug: jung, dynamisch, niveauvoll. Vielleicht auch ein bisschen vernünftig. Wer eine richtige Krawallkiste sucht, ist bei VW an der falschen Adresse, andere Autohersteller wie zum Beispiel Ford, Opel oder Renault sind da etwas mutiger. Aber das ist eben das, was VW schon immer perfekt beherrscht – neues Design hin oder her. Parke den Polo vorm Büro – geht. Fahre mit dem Polo zum Sport – geht auch. Fahre mit ihm über den Hockenheimring – kann man machen. Oder wie wir: Stelle den Polo direkt in den Wald. Eigentlich macht er immer eine gute Figur, solche Allround-Qualitäten gibt es nur selten. Und trotzdem fährt der neue GTI auf einem ganz anderen sportlichen Niveau als seine Vorgänger. Man denke nur mal an den Polo 9N3 GTI Cup Edition mit Eins-Achter-Turbo – Sahne und schon heute ein begehrtes Sammelobjekt bei VW-Fans. Es folgte das ernüchternde Experiment im Polo 6R mit 1,4er-Turbo-Kompressor-Kombination, um dann wieder auf den 1,8er-Turbo der Baureihe EA888 zu setzen. Okay, Vergangenheit. Abgehakt. Viel interessanter ist doch, was die Modellreihe „AW" eigentlich anders macht. Das ist vor allem die Technik unterm Blechkleid: Der neue Polo basiert jetzt auch auf dem Modularen Querbaukasten (MQB), sodass die Möglichkeiten technischer Natur viel größer ausfallen. Mehr Assistenzsysteme wie Abstandstempomat oder Totwinkelwarner, dazu ein gesteigertes Dynamikniveau. Wohlgemerkt, wir reden hier von einem Polo! In Sachen Antriebsstrang Platz geschaffen, sodass auch das Triebwerk eine Nummer größer ausfällt: Es verrichtet nun der ausgereifte Zweiliter-TSI (EA888) mit 200 PS und 320 Newtonmetern Drehmoment seine Arbeit, die das relativ kurz übersetzte Sechs-Gang-DSG endlich auch komplett ausleben kann, nachdem der Vorgänger aufgrund des Platzmangels und einer abgespeckten DSG-Variante nur 250 Newtonmeter zuließ. Nur Handreißer kamen damals in den vollen Newtonmeter-Genuss.

Wieder dieses DSG ...

Ein DSG-Gang weniger, dafür aber die volle Drehmoment-Pracht. Dabei überzeugen die Fahrleistungen aus dem Stand – schon wegen der Launch Control. Sind die Bedingungen optimal, so sprintet der Newcomer in 6,7 Sekunden auf 100 und stoppt erst bei 237 km/h mit Vortrieb. Das ist gut, aber nicht besser als der Vorgänger. Der Motor geht vor allem im unteren Drehzahlbereich spritzig zu Werke, dreht lustvoll hoch, verliert aber in Richtung der Fünf spürbar an Luft und hört sich ein bisschen gequält an. Dafür brummt, sprotzelt und blubbert es aus dem Doppelendrohr in Clubsport-Manier, was wirklich sehr erfreulich ist! Nicht so schön ist hingegen mal wieder die DSG-Abstimmung. Im Test foppte uns das DSG mit Gedenksekunden, Gangsuchen bei spontanen Kickdowns, wobei die Zugkraft spürbar unterbrochen wird, und Eingriffen im manuellen Schaltmodus. Was heißt denn manuell? MANUELL! Ist das so schwer? In dieser Disziplin wird der Polo GTI den „Pott" nicht nach Hause holen. Linderung ist in Aussicht: Bald soll ja noch eine Handschaltervariante folgen ... Die neue Generation und die damit verbundene Weiterentwicklung überzeugt dafür bei der Optik, der Verarbeitung und vor allem dem Fahrwerk. Gerade hier haben die Applikateure hervorragende Arbeit geleistet. Denn anders als die Vorgängermodelle wurde dieser GTI als echter GTI parallel entwickelt und nicht einfach nur auf das Standardmodell „draufgesetzt". Das bedeutet neben der obligatorischen 15-Millimteter-Tieferlegung eine gewisse Eigenständigkeit wie die um 40 Prozent erhöhte Steifigkeit im Vergleich zum Standard-Polo sowie die elektronische Vorderachs-Sperre XDS, die das Rad mit gezielten Bremseingriffen so abbremst, dass sich der Radschlupf in Grenzen hält. Wer möchte, kann zwischen den beiden deutlich spürbaren Fahrmodi „Normal" und „Sport" wählen. So einfach kann's sein.

Lieber praktisch als eitel

Eins, zwei, drei. So viele Türen (inklusive Kofferraumklappe) sollte ein Polo unserer Meinung nach maximal haben – die Linie wirkt dann einfach schöner, der Gesamtauftritt ist sportlicher. Enttäuschend also, dass es den neuen Polo (AW) nur als Fünftürer gibt, auch wenn er sich so besser verkauft und zum Erwachsensein irgendwie dazugehören mag. Ausgereift präsentiert sich auch der Innenraum: natürlich mit GTI-Labels, roten Nähten und roten Applikationen. Schön anzuschauen ist das Armaturenbrett mit roter Blende, die mit Clark-Stoff bezogenen Sitze sind etwas zu hoch angebracht und das Lenkrad etwas in die Jahre gekommen. Hier hätte ein neues Design gutgetan. Ansonsten ist die Anmutung im Polo hervorragend. Sonderausstattungen wie das virtuelle Cockpit und das Glasschiebedach bringen noch mehr Kompaktklasse-Anmutung in diesen Kleinwagen, der auf unfassbar hohem Niveau agiert.

GESAMTEWRTUNG

★★★★☆ (4/5)
 
ANTRIEB 4
FAHRLEISTUNG 4
BREMSE 3,5
HANDLING 4
SPASSFAKTOR 4
ALLTAG 4,5
QUALITÄTSANMUTUNG 4
PREIS-LEISTUNG 4
 

Der neue Polo GTI ist ein Brett! 200 Turbo-PS aus zwei Litern hatte der Golf 5 GTI, heute hat sie der Polo. Neben größeren Maßen ist er optisch und fahrtechnisch erwachsener geworden – eine modernere Optik gepaart mit einer wesentlich besseren Antriebstechnik heben die Qualität des sportlichen Kleinwagens auf ein noch höheres Niveau. Und wisst ihr was? Hier stimmt sogar der Sound! Ein besser abgestimmtes DSG, eine tiefere Sitzposition sowie etwas mehr „echte" Sportlichkeit im Innenraum (Sitze, Lenkrad, Virtual Cockpit) würden den Kleinen hier absolut makellos machen. Aber wer ist schon fehlerfrei?!

DATEN & FAKTEN 

VW Polo GTI (Baujahr 2018)

MOTOR Vierzylinder-Turbo-Benziner mit 1.984 ccm Hubraum (2.0 TSI, EA888) und Ottopartikelfilter (OPF)
KAROSSERIE Sonderlackierung in „Deep Black Perleffekt"; Seitenscheiben hinten und Heckscheibe abgedunkelt; LED-Scheinwerfer
FAHRWERK Vorderradantrieb mit elektronischer Differenzialsperre „XDS"; in zwei Stufen einstellbares „Sport Select"-Fahrwerk mit 15-mm-Tieferlegung ab Werk
BREMSEN Sportbremse mit innenbelüfteten Scheiben und roten Bremssätteln
GETRIEBE 6-Gang-Schaltgetriebe oder 6-Gang-DSG (optional)
AUSPUFF zweiflutig (links angeordnet)
RÄDER Leichtmetallräder „Brescia" in 7,5 x 18 Zoll mit Bereifung in 215/40 R18
INTERIEUR Interieurpaket „ArtVelours" mit Sport-Komfortsitzen vo
CAR-HIFI Navigationsfunktion „Discover Media" (für "Composite Media"); Rückfahrkamera; Soundsystem „beats" mit sechs Lautsprechern, 8-Kanal-Verstärker und Subwoofer
TECHNISCHE DATEN 1.355 kg; 4053 mm x 1751 mm x 1438 mm (Länge x Breite x Höhe)
FAHRLEISTUNG 200 PS (bei 4.400 U/min) und 320 Nm (bei 1.200 U/min); 0 – 100 km/h in 6,7 Sekunden; Vmax: 237 km/h
VERBRAUCH Ø auf 100 km: 7,4 Liter Super-Benzin (nach WLTP, Herstellerangabe); Durchschnittsverbrauch der Redaktion: 9,4 Liter Super (95)
GRUNDPREIS 23.950 Euro; Testwagenpreis: 33.150 Euro