Dirt Rally 2.0 im TUNING-Test (2019)

Sind die Gegner zu stark, bist du zu schwach

05.07.2019 13:30 Uhr

Text: Joshua Hildebrand | Bilder: Codemasters


Ja, wir lieben Rennspiele! Und wir lieben es dreckig! Ein neuer Titel, der beide Eigenschaften hervorragend vereint, ist „DiRT Rally 2.0" für Konsole und PC. Auf zur Wertungsprüfung!

‚Na also, es geht doch!', dachte man, als mit „DiRT Rally" vor etwa drei Jahren endlich mal wieder eine gute Rallye-Simulation von Codemasters herauskam, anstatt weiter auf hippen Bling-Bling-Faktor und Mainstream-Racing zu setzen. „DiRT Rally" war die erste ernsthafte Rallye-Simulation seit vielen Jahren, die ein großartiges Streckendesign und ein fantastisches Fahrgefühl bot. Drei Jahre später schieben die Engländer Teil zwei dieses Titels nach. Wir fragen uns: Kann die Neuerscheinung an den Erfolg des ersten Teils anknüpfen und bleibt „DiRT" die beste Anlaufstelle für Rallye-Enthusiasten?

Nicht von der Linie abkommen!

Es bleibt natürlich bei Rallye-Motorsport im Stil der WRC: Auf diversen Wertungsetappen rund um den Erdball tritt man im Zeitfahren vor allem gegen die Uhr an. Dabei finden wir, dass die Auswahl der Strecken leider wieder, wie schon beim Vorgänger, zu klein ausfällt und teils auch recycelt wirkt. Zum Release gab es leider kein Bergrennen à la Pike's Peak und auch keine Schnee-Etappe. Wenigstens Letzteres wurde bereits mithilfe eines Patches und DLCs (Downloadable Content, Anm. d. Redaktion) nachgeschoben. Dabei fährt man die Stage „Gordolon – Courte montée" in Monaco oder die „Sweden Rally" mit einem der rund 40 auswählbaren Fahrzeuge aus zehn Klassen. Historische Boliden aus verschiedenen Epochen, Sportwagen, Rallye-Legenden oder Rallyecross-Fahrzeuge stehen dabei dem Spieler zur Auswahl. Darf es ein Golf 2 GTI 16V, ein Aston Martin Vantage oder ein Audi Sport Quattro S1 sein? Es warten abwechslungsreiche Etappen in Argentinien, Australien, Neuseeland, New England (USA), Polen und Spanien. Und ja, jedes Land hat so seinen eigenen Charakter. Während Spanien wie gemacht für die R-GT-Autos viel klassische Asphaltstraße bietet, gibt es viel Wald in New England oder gefährliche Steinhänge mit tiefen Abgründen in Neuseeland ... Diese warten übrigens nur darauf, dass man als Fahrer einen Fehler macht. Eine kleine Berührung reicht hier schon aus und der fatale Abflug ist perfekt.

Gute Seiten, schlechte Seiten

Und selbst ein folgenreiches Fahrmanöver fühlt sich ziemlich realistisch an! Auch wenn wir finden, dass die Reaktion des Autos auf Hindernisse teilweise übertrieben wirkt. Eine klitzekleine Berührung in einer Kurve sorgt zumeist für einen Überschlag. Berührungen mit Bäumen, Leitplanken, Felsen oder anderen massiven Objekten am Streckenrand haben neben visuellen Auswirkungen wie abfallenden Spiegeln, verflüchtigten Motorhauben oder unschönen Beulen auch Auswirkungen auf die Fahrphysik. Trotz vieler Faktoren und einer zufriedenstellenden Darstellung sind wir nicht hundertprozentig zufrieden: Vor allem Überschläge enden oft viel zu harmlos. Wo Unfälle im Vorgänger noch in einem Totalschaden geendet hätten, geht es hier vergleichsweise unbeschwert weiter. Wenn wir diesen Kritikpunkt jetzt einfach mal ausblenden, müssen wir allerdings feststellen, dass die Fahrphysik in „DiRT Rally 2.0", wie bereits im Vorgänger, mit einem authentischen Fahrgefühl begeistert. Simulationsfans werden die Steuerung feiern, Anfänger haben es zu Beginn schwer, können aber trotz Hilfen wie ABS, Traktions- und Stabilitätskontrolle sowie einer automatischen Bremsunterstützung schnell dazulernen. Generell wirkt die Fahrphysik etwas anspruchsvoller als im Vorgänger. Vor allem das Untersteuern ist ausgeprägter, und der Einsatz der Handbremse wird in „DiRT Rally 2.0" zur unerlässlichen Pflicht, wenn man ganz vorn mitfahren möchte.

Richtig interessant wird es aber erst – wie eigentlich bei jeder Rennsimulation – mit einem Force-Feedback-Lenkrad. Dann fühlt sich das „Rumgebrettere" über Stock und Stein wirklich sensationell gut an, auch wenn die Grafik nicht ganz so brillant wirkt wie etwa bei einem Forza Horizon 4. Teilweise matschige Texturen, Schatten oder Objekte fallen vielleicht bei einer Erkundungsfahrt auf, im Wettkampfbetrieb schaut man dann doch lieber auf die Straße, und dann verschwimmt dank der Geschwindigkeitsunschärfe ohnehin alles drum herum. Neben einer wirklich stimmungsvollen Beleuchtung mit sehenswerten Licht- und Blendeffekten verändert sich beispielsweise bei Regen zudem die Beschaffenheit der Fahrbahn – und das merkt man auch! Alles funktioniert dabei mit einer flüssigen Darstellung, die sich in manchen Situationen aber selbst auf der Xbox One X oder PS4 Pro am Limit bewegt und die hohe Bildrate unter 4K nur durch vereinzeltes Ruckeln aufrechterhalten kann. Die Wagenmodelle erreichen trotz des ansehnlich visualisierten Schadensmodells und zunehmender Verschmutzung dagegen leider nicht ganz die Qualität und den Detailreichtum, den mittlerweile viele andere Rennspiele bieten. Dafür hören sie sich fantastisch an: Vor allem in den Außenansichten zaubern die röhrenden Motoren ein Lächeln ins Gesicht.

Freud und Leid liegen eng zusammen

Wer nicht gern allein (auf der Strecke) ist, der darf sich wieder im Rallyecross versuchen. Die Disziplin, bei der bis zu sechs Piloten in direkten Positionsduellen auf kleinen Rundkursen um den Sieg kämpfen, wird im zweiten Teil noch weiter ausgebaut. Dank FIA-Lizenz finden sich nicht nur die offiziellen Strecken, sondern auch echte Teams und Piloten. Namen wie der WRC-Rekordhalter Sebastien Loeb oder Altmeister Mattias Ekström zählen zu den wählbaren Charakteren. Dazu klemmen sich die Profis hinter das Steuer der PS-starken RX-Supercars wie Subaru WRX STI oder Audi S1 EKS RX. Wie in der Realität geht es auch im Spiel ziemlich ruppig auf den Pisten zu: Es wird erbarmungslos gedrängelt, geschubst und abgedrängt. Schon auf dem mittleren Schwierigkeitsgrad agiert die KI vom Start weg äußerst aggressiv und lässt gefühlt keine Gelegenheit aus, um den direkten Kontakt zu suchen. Der Leidtragende ist dabei meist der Spieler, wenn sein Fahrzeug schon kurz nach dem Start durch einen Rempler gedreht oder in den nächsten Betonblock am Straßenrand gedrängt wird. Statt Spaß zu bieten, endet das Rallyecross-Erlebnis daher meist mit dem genervten Neustart oder einem entnervten Abbruch. Und dann ist man wieder ganz schnell auf dem Boden der Tatsachen – getreu dem Motto: Bist du zu schlecht, ist das Spiel zu realistisch!

„Realistischer Rallye-Spaß mit ein paar Schwächen"
★★★★☆ (4/5)

+ Realistische Fahrphysik
+ Sechs abwechslungsreiche Schauplätze
+ Verschiedene und wechselnde Bodenbeläge
+ Viele verschiedene Fahrzeuge
+ Fahrhilfen für Simulationsneulinge
+ Realistisches Schadensmodell
+ Set-up-Möglichkeiten
+ Gute Controller-Steuerung
+ Rallyecross-Meisterschaft mit offizieller FIA-Lizenz
+ Verschiedene Reifenmischungen verfügbar
+ Dynamisches Wetter
+ Kampagne mit historischer Rallye
+ Stimmungsvolle Grafik und Beleuchtung
+ Ansprechende Kulisse
+ Authentische Motorensounds

– Teils schwierige Steuerung für Anfänger
– Untersteuernd ausgelegte Fahrphysik
– Strecken ähneln teilweise Teil 1
– Schadensmodell manchmal nicht nachvollziehbar
– Spielphysik oft zu empfindlich (Unfälle)
– Grafiktexturen abseits der Strecken matschig
– Keine Bergrennen
– Kein lokaler Multiplayer-Modus
– Kein Lackierungs-Editor wie in DiRT 4
– Deutsch-englische Ansagen der Co-Pilotin
– Heftig schwankender Schwierigkeitsgrad
– KI beim Rallyecross unfair und zu aggressiv
– Spielphysik oft zu empfindlich (Unfälle)